Süd-östlich von Baden-Baden, nahe der kahlen Hornisgrinden bettet sich ein kleiner See in die Mulde zwischen dunkle Tannen, der vom Volke Wundersee oder Mummelsee genannt wird. Das Klima ist hier rauh, seine Ufer abgeschieden. Hier kann man sich noch gut vorstellen wie es in früheren Zeiten gewesen sein muss, als noch kein Laut die Stille hier unterbrach.
Der Sage nach stand dort, wo er jetzt sein schwarzes Wasser ausbreitet, eine heilige, Gott geweihte Wohnung. Dort lebten, in tiefer Abgeschiedenheit vom stürmischen Treiben der Welt, kindlich fromme Seelen in Andacht.
Durch langer Zeiten Räume herrschte hier heilige Ruhe, welche jetzt aber zum tiefen, schauerlichen Schweigen geworden ist. Denn plötzlich vernichtete des Himmels Zorn diese geweihte Stätte. Vergebens fragst du: warum? Nur mit stillem, mit ehrfurchtsvollem Blick weiset der fromme Landmann dich hin auf die unergründlichen Wege der Vorsehung.
Als einst am frühen Morgen des Tales Bewohner den steilen Berg hinanklimmten, um an geheiligter Stätte der Andacht zu pflegen und ihre frommen Gaben zu bringen und sie nun des Berges Höhe erstiegen hatten, suchte vergebens ihr Blick das Kloster. Keine Spur war mehr davon übrig, an seiner Stelle aber ein See, in dessen schwarzem Spiegel sie umsonst die Trümmer des versunkenen Gebäudes zu erspähen sich mühten.
Mit geheimem Grauen wanderten sie zurück, und verkündeten ihren Brüdern dieses schauerliche Ereignis. Einsam blieb seitdem diese Stätte, und selten betreten vom Fuße verirrter oder neugieriger Wanderer. Aber noch lange Jahre zeigten sich die wohltätigen Geister des See’s. In die nächsten Wohnungen des Tales kamen sie bei nächtlicher Weile. Oft, wenn die Hausfrau oder ihre Mägde des Morgens zur Arbeit aufstanden, fanden sie schon die Küche gereinigt, das Geräte blank gescheuert, das Brot gebacken, und dergleichen Arbeiten mehr verrichtet. Auch pflegten sie die Rinder und Schafe und ließen das Werk des Landmanns gedeihen. In den Tälern am Gebirge und in der weiten Ebene des Rheingaues, weideten nirgends schönere Herden, als in den Tälern von Seebach und Achern.
In der Gestalt einer Jungfrau traf einmal eine der geistigen Bewohnerinnen einen Hirtenknaben im Gebirge, und gewann sein Herz durch die Reize ihrer Gestalt. An einer Quelle kamen sie täglich zusammen, und kosteten hier in traulichen Gesprächen, bis der Abendstern durch die Tannen flimmerte. Der Knabe spielte in ihren weichen langen Haaren und sie lehrte ihn viele wunderschöne Lieder. So oft sie sich aber trennten, so warnte sie ihn auch, ihr nie zum See zu folgen und sie nie dort aufzusuchen, wenn sie auch mehrere Tage ausbleiben sollte.
Einst harrte ihrer der junge Hirt vergebens zwei lange Tage hindurch. Beim Frührot des dritten Tages konnte er’s nicht länger ausdauern. Die Sehnsucht nach der Geliebten zog ihn zu dem See hin.
Alles um ihn her war still und öde. Er sah nichts. Traurig setzte er sich an’s Ufer und rief laut ihren Namen. Da vernahm er ein Ächzen tief unten im Schoße des dunkelschwarzen Gewässers, und plötzlich färbte sich dies blutrot.
Den Knaben ergriff ein kalter Schauder – »sie ist tot!« – rief er aus, eilte weinend nach Hause, und – starb.
Auf Kinder und Kindeskinder pflanzte die Güte der wohltätigen Geister des See’s sich fort, bis einst die Enkel, ohne es zu wollen, sie verscheuchten. Öfter hatten nämlich schon die Bewohner des Tals die nächtlichen Gäste belauscht und sie gesehen, wie sie in ärmlicher Kleidung, die kaum ihre Blöße bedeckte, einherwandelten. Da hielten sie Rat zusammen und wurden eins, zum Danke den freundlichen Geistern neue Bedeckung zu schaffen, damit sie stattlicher ihre nächtliche Reise könnten beginnen, und zierliche Kleider hingen sie auf an dem Orte, welchen die nächtlichen Geister besuchten. Aber, zürnend über die Geschenke der beschränkten Talbewohner, obgleich sie gutmütig ihnen geboten waren, und zürnend, dass sie belauscht wurden in ihrem stillen Wirken, kehrten die Geister zurück, und kein sterbliches Auge hat sie seitdem erblickt.
Erst nach langen Jahren, in unsern die Vergangenheit so oft verschmähenden Tagen, gaben sie wieder ihr Dasein zu erkennen. Denn als einst die Mönche eines benachbarten Klosters in dieser wilden Gegend sich mit der Jagd vergnügten, kamen sie auch an des See‘s Rand. Der kindlichen Sage spottend, beunruhigten sie die stille Behausung der Geister, und schossen in die Wellen. Aber eine zürnende Stimme, gleich dem Brausen des Waldstroms, erhob sich aus der Tiefe des See’s, und es begannen die vorher ruhigen Wellen sich mächtig zu heben, und in furchtbarem Aufruhr schlugen sie an die sie begrenzenden Felsen, dass es wiederdröhnte weit umher in dem Walde.
Furchtsam flohen die Mönche aus dem Gebiet der zürnenden Geister, und suchten durch Messelesen und Gebet sie wieder zu versöhnen. Noch jetzt betet, auf ihre Verordnung, der Talbewohner in nächtlicher Stille jedes Mal einen Rosenkranz, damit die beleidigten Geister wieder versöhnt werden, und aufs Neue sich mit ihnen befreunden.“
Bildquelle: © Tourist-Info. Seebach